Neben dem Bereich der Kriterien komplexer Systeme liegt ein Fokus auch auf möglichen Transfers. Hier sollen nun durch die Spieler beschriebene Transfers beurteilt werden. Dabei soll der Blick auf das Thema der Arbeit gewahrt bleiben, so dass der zwar sehr oft erwähnte, aber nur bedingt zum Thema gehörende Bereich der Geschichte hier am Rande betrachtet wird. Aufgrund der ersten Auswertung können die Transfers grob auf die virtuelle und die mentale Welt aufgeteilt werden. Die reale Welt kann insofern in Betracht gezogen werden, als dass Spieler angeben, aus dem Spiel entwickelte Verhaltensweisen auch in dieser Welt einzusetzen. Die mediale Welt und die Traumwelt bleiben unberücksichtigt, da diese im Regelfall nicht aktiv gestaltet und zudem nur selten angesprochen werden. Da Möglichkeiten des Spiels betrachtet werden, werden hier nur Transfers vom Spiel, also aus der virtuellen Welt, betrachtet. Dabei soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der gewählten Methode die Qualität der Transfers nur unzureichend beurteilt werden kann.
Transferformen
Die Mehrzahl der Spieler gibt an, dass sie durch das Spiel etwas gelernt hat[1]. Der Großteil des Gelernten lässt sich dem Bereich Geschichte zuordnen und die beschriebenen Transfers finden hauptsächlich in Form eines informationellen Transfers statt, da sie sich fast ausschließlich auf Wissen aus der realen Welt beziehen. Dabei ist dieser Prozess nicht einseitig, da Spieler auch angeben, dass sie Fakten im Spiel mit den Fakten aus der realen Welt überprüfen. So gab ein Spieler an, dass die Darstellung der Geschichte in Civ IV nur bedingt den Tatsachen entspräche[2]. Ein anderer Spieler beschreibt den lehrreichen Aspekt besonders deutlich: „[…], CIV IV plays out as an interactive flash card game for memorizing certain historical figures, buildings, and technologies“ (ID 109; Frage 39). Er vergleicht das Spiel mit einem Karteikasten mit Lernkarten. Weitere merken an, dass die vermittelten Informationen eher grob sind, aber zumindest einen ersten Eindruck geben und zum recherchieren anregen[3]. Auch wenn es noch viele weitere Beispiele für dieses Themengebiet gibt, soll der Blick nun auf komplexe Systeme gerichtet werden.
Mit Blick auf komplexe Systeme sind die bei Frage 39 angegebenen Bereiche Organisation, Planung, Erfassen von Zusammenhängen und Verständnis für komplexe Systeme interessant. Diese Bereiche werden jeweils mit ca. 20 % benannt, was aus dem Spiel außerhalb des Spiels angewandt werden könnte oder schon angewandt worden ist. Hier sei der Hinweis gegeben, dass sogar 46 % der Befragten bei Frage 37 angeben, in diesen Bereichen etwas gelernt zu haben, dass Gelernte demnach aber nur für das Spiel anwendbar zu sein scheint (n=248).
Die erkannten Transfers können verschiedenen Formen zugeordnet werden:
Informationelle Transfers: Wird die Erkenntnis, dass ein bestimmtes Verhalten gut ist, ohne dabei das Verhalten selbst zu lernen, als Information gewertet, sagen viele Spieler, dass Civ IV die Notwendigkeit für Planung deutlich macht. Außerdem erkennen die Spieler, dass Dynamik in Systemen existiert und, dass sich verschiedene Elemente gegenseitig beeinflussen können. Diese Erkenntnisse decken sich mit den bereits vorher erarbeiteten Kriterien komplexer Systemen[4].
Problemlösende Transfers: Ein großer Teil der Spieler gibt an, Probleme aus dem Spiel in der mentalen Welt zu lösen. So beschreiben Spieler bei Frage 43, dass sie über Situationen im Spiel nachdenken und versuchen, Wege zur Lösung eines Konfliktes o.Ä. zu finden[5]. Auffällig ist, dass es sich häufig um taktische Überlegungen handelt, d.h. Überlegungen zum Vorgehen im Krieg.
Realitätsstrukturierende Transfers: Spieler beschreiben, dass sie versuchen, reale Situationen anhand des Spiels besser beurteilen zu können[6]. Dieser Fall wird aber eher selten beschrieben.
Kognitive Transfers: Über Dreiviertel der Spieler geben an, dass sie sich auch an das Spiel erinnern, wenn sie nicht spielen. Inhalte sind dabei oft Überlegungen zu dem weiteren Verlauf des Spiels, aber auch der bisherige Verlauf oder ganz allgemeine Spielelemente spielen eine Rolle[7].
Assoziative Transfers: Hier geben 27,4 % der Spieler an, dass sie durch äußere Einflüsse an das Spiel erinnert werden. Dabei können diese Reize individuell unterschiedlich sein: Landkarten, ein geschichtlicher Diskurs, Gebäude oder Texte über unterschiedliche Themen, die dann bei Civ IV implementiert werden sollen, werden hier benannt[8].
Instrumentell-handlungsorientierte Transfers: Diese Form kann nur in wenigen Antworten erkannt werden (Spieler selbst beurteilen diesen Fall auch als unwahrscheinlicher). Hauptbereich hier sind intramondiale Transfers von Handlungsmustern auf andere Spiele (12 %; n=248) [9]. Bei der Planung von unterschiedlichen Abläufen geben noch 8,8 % an, ein bestimmtes Vorgehen übernommen zu haben. Allerdings sind die gegebenen Beispiele nur bei wenigen tatsächlich als Handlungsmuster bewertbar und beschreiben die bereits erwähnte Erkenntnis, dass z.B. eine durchdachte Planung notwendig ist.
Zeitlicher Transfer: Der zeitliche Transfer kann, wie bereits in Kapitel 7.3.3 erarbeitet, mit Blick auf Dynamik erkannt werden: einzelne Spieler geben an, dass sie durch das Spiel ein bestimmtes Gefühl für (lange) zeitliche Abläufe in der realen Welt entwickelt haben. Allerdings beziehen sich diese Aussagen eher auf die Beurteilung zeitlicher Abläufe und nicht auf ein verändertes Zeitgefühl.
Ethisch-moralische Transfers: Auch wenn diese Transferform keinen direkten Bezug zum Thema der Arbeit hat, soll kurz darauf eingegangen werden, da in verschiedenen Artikeln die Wertung des Krieges in Civ IV als zu positiv oder gar rassistisch empfunden wird[10]. Wie bereits festgestellt, beschäftigen sich Spieler zwar viel mit der Frage, wie sie im Krieg vorgehen sollen, allerdings erwähnt lediglich ein Spieler, dass er durch das Spiel gelernt habe, dass Krieg notwendig und unvermeidbar sei. „[A]nd it taught me why war is the only way“ (ID 338) gibt dieser Spieler auf Frage 39 an. Natürlich kann hieraus kein Rückschluss darauf gezogen werden, ob Civ IV tatsächlich die Einstellung zum Krieg positiv oder negativ beeinflusst (hierfür wären andere/weitere Fragen notwendig). Die meisten Spieler benennen diese Erkenntnis nicht im Zusammenhang mit dieser Untersuchung.
Emotionale Transfers und phantasiebezogene Transfers werden nicht berücksichtigt, da diese nur als bedingt relevant erachtet werden und bei der Auswertung nur selten aufgefallen sind. Neben den Formen sollen nun die Ebenen betrachtet werden.
Transferebenen
Mit Blick auf die Transferebenen kann ein großer Teil der beschriebenen Transfers der Fact-Ebene zugeteilt werden. Hier können allerdings nicht alle berücksichtigt werden, da diese teilweise auch andere Themenbereiche betreffen. Um Redundanzen zu vermeiden, werden nicht immer alle Erkenntnisse wiederholt, da es sonst zu Überschneidungen mit den bereits beschriebenen Transferformen kommt. Nun sollen die Ebenen einzeln betrachtet werden:
Fact-Ebene: Viele Spieler geben an, Informationen über die reale Welt, hauptsächlich historische Daten oder Tatsachen, durch das Spiel kennengelernt zu haben. Dabei werden die erhaltenen Daten, wie bereits bei den Formen beschrieben, nicht ausschließlich unreflektiert übernommen, sondern auch nachgelesen. Hier sei jedoch darauf hingewiesen, dass einige Spieler auch nur erwähnen, durch das Spiel etwas gelernt zu haben, ohne dabei anzugeben, das Gelernte zu hinterfragen. Es bleibt also offen, wie groß der Teil der Spieler ist, der tatsächlich das Wissen ungeprüft übernimmt.
Weiterhin kann auch hier wie bei den Transferformen die Erkenntnis erwähnt werden, dass ein bestimmtes Vorgehen sinnvoll ist. Ähnlich verhält es sich bei den Kriterien komplexer Systeme: Spieler geben an, dass sie durch das Spiel diese Kriterien vermittelt bekommen haben und benennen diese auch konkret[11].
Skript-Ebene: Dieser Ebene können vereinzelt Transfers in die reale Welt zugeordnet werden. So beschreiben wenige Spieler, dass sie das planvolle Vorgehen aus dem Spiel auch auf Situationen in der realen Welt übertragen haben[12]. Andere Spieler, die angeben, Handlungsmuster übernommen zu haben, ordnen diese dem intramondialen Transfer zu. Sie verwenden also in Civ IV erlernte Schemata in anderen Spielen[13]. Im Vergleich dazu werden häufiger intermondiale Transfers in die mentale Welt beschrieben, in denen die Spieler angeben, Schemata der Planung übernommen zu haben[14]. Jedoch lassen die gegebenen Antworten keine qualitative Bewertung dieser Transfers zu, so dass diese nicht eindeutig zugeordnet werden können, d.h. eine Einteilung in die Print-Ebene wäre vielleicht passender.
Print-Ebene: Wie bei der Skript-Ebene bereits erwähnt, könnten die dort beschriebenen Transfers auch hier eingeordnet werden, da die Antworten häufig zu allgemein beschreiben, inwiefern etwas übernommen worden ist. Hier können einzelne Schritte eingeordnet werden, z.B. dass das Prüfen bestimmter Faktoren notwendig sei oder Abläufe hinsichtlich unvorhersehbarer Entwicklung hin ausgelegt werden müssen[15]. Auch hier gilt, dass eine eindeutige Einteilung schwierig ist.
Metaphorische Ebene: Auf dieser Ebene können Teile der Erkenntnisse der Spieler eingeordnet werden, wenn sie Analogien zum Spiel bilden („so tun als ob“). So vergleichen Spieler Elemente im Spiel mit bekannten Systemen aus der realen Welt oder befassen sich in der mentalen Welt damit, wie bestimmte Ereignisse im Leben in Civ IV abgebildet werden können[16].
Dynamische Ebene: Motive oder emotionale Aspekte des Spiel(en)s sind für das Thema der Arbeit nicht relevant und werden daher nicht betrachtet.
Werden die hier vorgestellten Transfers mit Blick auf das Thema betrachtet, so kann festgestellt werden, dass die relevanten Transfers im Bereich der Planung und Organisation und beim Erkenntnisgewinn über komplexe Systeme stattfinden. Allerdings sind dies verglichen mit der Anzahl der Spieler, die bei der Beschreibung des Spiels/komplexer Systeme Kriterien genannt haben, erkennbar weniger.
Strukturelle Koppelung
Im Rahmen von Transfers muss auch die strukturelle Koppelung betrachtet werden, da diese gewisse Schlüsse über möglicher Transfers zulässt. Zwar geben viele Spieler an, etwas durch das Spiel gelernt zu haben und, dass durch das Spiel Interessen geweckt worden sind, allerdings wird bei dieser Untersuchung der Hintergrund (Motivation, sozialer Status, etc.) der Spieler nur unzureichend betrachtet, da dies kein primäres Ziel ist. Dennoch geben einige Spieler an, dass sie Civ IV spielen, weil sie sich für Geschichte, Politik, Management oder Strategie schon vorher interessierten: „Ich war auch schon vorher in Themenbereichen wie Geschichte o. Politik interessiert. Auch macht es mir seit jeher Spaß, zu versuchen, komplexe Systeme zu verstehen.“ (ID 150 auf Frage 45) antwortet ein Spieler. Ein weiterer sagt: „Es ist eher umgekehrt. Weil mich Themen wie Politik, Geschichte, Geographie usw. interessieren, spiele ich Civ.“ (ID 64) In 14 weiteren Fällen antworten Spieler ähnlich[17]. Hier zeigt sich, dass diese Spieler auf der einen Seite reflektieren (können), warum sie ein Spiel spielen, und dass auf der anderen Seite bereits (Handlungs-)Wissen aufgrund dieser Interessen vorhanden war und nicht erst durch das Spiel entwickelt worden ist. Die Spieler sind sich dieser Tatsache unter Umständen nicht immer bewusst, so dass dem Spiel Möglichkeiten zugeschrieben werden, die nicht in dem Maße vorhanden sind. Diese Tatsache muss bei den Aussagen der Spieler und den gezogenen Schlüssen daher immer berücksichtigt werden.
[1] vgl. Vorstellung der quantitativen Daten
[2] vgl. ID 328 auf Frage 39
[3] vgl. ID 75, ID 85, ID 155 oder ID 219 auf Frage 39
[4] vgl. ID 285, ID 287 oder ID 293 auf Frage 39
[5] vgl. ID 39, ID 106, ID 122 oder ID 297 auf Frage 43
[6] vgl. ID 85, ID 183 oder ID 338 auf Frage 39
[7] vgl. ID 25 oder ID 109 auf Frage 43
[8] vgl. ID 103, ID 183, ID 50 oder ID 109 auf Frage 43
[9] vgl. ID 280, ID 85 oder ID 206 auf Frage 41
[10] vgl. Bevc 2009, S. 156f; vgl. Galloway, S. 277ff
[11] vgl. ID 69, ID 103 oder ID 154 auf Frage 39; vgl. ID 99, ID 183 oder ID 280 auf Frage 39
[12] vgl. ID 190 oder ID 154 auf Frage 41
[13] vgl. ID 85, ID 264 oder ID 280 auf Frage 41
[14] vgl. ID 40, ID 300 oder ID 318 auf Frage 39
[15] vgl. ID 103, ID 183 oder ID 293 auf Frage 39
[16] vgl. ID 60, ID 69 oder auf Frage 39; vgl. ID 25, ID 109 oder ID 223 auf Frage 43
[17] vgl. ID 297, ID 32 oder ID 98 auf Frage 45