Elemente komplexer Systeme im Spiel

Ein Hauptkriterium komplexer Systeme sind viele zueinander in Beziehung stehende Elemente[1]. Dabei sind diese Beziehungen unterschiedlicher Natur und teilweise herrscht Unkenntnis über die Art der Beziehung. Zudem können Beziehungen neu entstehen oder unvorhergesehene, weitere Verbindungen besitzen. Civ IV besitzt eine Vielzahl an Elementen: Das erste und offensichtlichste Element sind die verschiedenen Zivilisationen. Es gibt seit der letzten Erweiterung BtS mittlerweile 34, auf die sich 52 Staatsoberhäupter verteilen[2]. Die Zivilisationen bzw. deren Staatsoberhäupter besitzen dabei unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Pro Spiel kann aber die Anzahl der Zivilisationen begrenzt werden. Weiterhin gibt es 113 Einheiten (vergleichbar mit Spielfiguren), die unterschiedlichen Typs sind (Land, Wasser oder Luft, Militär, Zivil, etc.). Bei einigen Einheiten handelt es sich um zivilisationsspezifische Spezialeinheiten. Hinzu kommt, dass Einheiten, abhängig vom Typ, neue Fähigkeiten durch ein Beförderungssystem erhalten können. Es existieren 53 verschiedene Möglichkeiten der Beförderung[3].

Ferner gibt es bei Civ IV auch Bauwerke. Bei Bauwerken wird zwischen Weltwundern (Anzahl: 41), nationalen Wundern (14), Projekten, aufgeteilt in Weltprojekte (2)  und Teamprojekte (3), sowie Gebäuden (87) unterschieden[4]. Gebäude haben einen Effekt auf die Stadt, in der sie erbaut werden, und Wunder auf die gesamte Zivilisation. Jedes Weltwunder kann nur einmal pro Spiel von einer Zivilisation gebaut werden, nationale Wunder einmal pro Spiel von jeder Zivilisation und Gebäude einmal pro Stadt. Weltprojekte werden von einer Zivilisation erbaut, haben aber auf alle anderen auch einen Effekt. Teamprojekte bringen den im Team bzw. in einer Allianz spielenden Zivilisationen einen Vorteil. In einer Stadt können zudem auch Spezialisten (Künstler, Wissenschaftler, Händler, etc.) angesiedelt werden, die für ihr jeweiliges Fachgebiet pro Runde Bonuspunkte erbringen. Außerdem können sich in einer Stadt verschiedene Anhänger einer bestimmten Religion aufhalten. Schließlich muss für die Gesundheit und Zufriedenheit der Bevölkerung gesorgt werden, damit es nicht zu Unruhen und verminderter Produktivität innerhalb einer Stadt kommt.

Als zusätzliches Element sind in Civ IV die verschiedenen pro Runde geförderten Produktionselemente in Städten zu nennen: Hier gibt es grundlegende, die die Produktivität angeben (angegeben in Hämmer), Kapital (in Form von Goldeinheiten), Nahrung und Forschungspunkte (in Form von Glühlampen), aber auch Ressourcen (35), die auf der Weltkarte gefunden und sich zur Förderung innerhalb der eigenen Kulturgrenzen befinden müssen. Diese Ressourcen sind für diverse Einheiten notwendig (z.B. Eisen für Schwertkämpfer). Durch Güter wie Bananen oder Edelsteine erhöht sich u.a. die Gesundheit bzw. die Zufriedenheit der Bevölkerung. Zu beachten ist hierbei, dass bestimmte Ressourcen erst mit der Entdeckung neuer Technologien gefunden werden können. Zudem wird zur Ressourcenförderung eine bestimmte Veränderung des Geländes, Modernisierung genannt, benötigt. Modernisierungen verändern Eigenschaften des Geländes und stellen eine wichtige Möglichkeit dar, das Gelände zu bearbeiten, damit es z.B. produktiver wird. So können um eine Stadt Bauernhöfe errichtet werden, die die Produktion von Nahrungsmitteln pro Feld erhöht. Eine Mine erhöht die Anzahl der produzierten Hämmer und eine Straße verringert die Anzahl der notwendigen Bewegungspunkte der Einheiten für ein Geländefeld. Neben den erwähnten Ressourcen gibt es auch unterschiedliche Geländearten (8) und -eigenschaften (7), die ebenfalls Einfluss auf die Produktivität eines Feldes haben. So ist eine Wüstenregion unproduktiver als Grasland. Außerdem beeinflussen unterschiedliche Geländearten auch die Einheiten, die sich auf den Feldern befinden. Dies betrifft die Bewegungspunkte und die Chancen im Kampf, da z.B. eine Waldregion die Verteidigungschancen erhöht.

Die Forschung ist ebenfalls für einen erfolgreichen Verlauf des Spiels relevant: Es können 92 Technologien (vom Rad bis zur Kernspaltung) erforscht werden. Die verschiedenen Technologien sind notwendig, um die zuvor angesprochenen Bauwerke, Modernisierungen, Einheiten bauen und weitere neue Technologien erforschen zu können. Abschließend sollen die mit Civ IV eingeführten, unterschiedlichen Staatsformen, die nun in fünf Kategorien (Regierung, Recht, Arbeit, Wirtschaft und Religion) aufgeteilt sind, erwähnt werden. Die miteinander kombinierten Kategorien bilden das Staatssystem. Insgesamt beinhaltet jede Kategorie fünf Formen. Jede Kategorie hat dabei unterschiedliche Auswirkungen auf den jeweiligen Bereich, aber nicht auf einen anderen Bereich[5].

Es bildet sich also ein großes Geflecht an Beziehungen und Abhängigkeiten. Jedes der eben beschriebenen Elemente hat dabei unterschiedliche Eigenschaften, die wiederum Einfluss auf die Beziehungen der einzelnen Elemente haben. Natürlich ist dabei zu beachten, dass diese Beziehungen trotz der hohen Zahl der Elemente messbar bleiben, da die Anzahl der Elemente bekannt ist und konstant bleibt. Allerdings soll hier eine Analogie zum Schachspiel hergestellt werden: Dort sind ebenfalls alle Spielelemente bekannt und es gibt ein festes Regelwerk, wie sich die Spielfiguren bewegen dürfen. Trotzdem gilt Schach nicht als ein einfaches Spiel und 1997 wurde der Sieg des Schachcomputers Deep Blue über den damaligen Schachweltmeister Kasparow als Sensation gefeiert[6].

Die Mitspieler oder auf Civ IV bezogen die anderen Zivilisationen sind dabei ein nicht ganz vorhersehbares Element: Hier herrscht lange Zeit Ungewissheit darüber, wie groß, fortschrittlich oder aufgerüstet diese sind. Dies kann zur Folge haben, dass bestimmte Bauvorhaben abgebrochen werden müssen, weil z.B. ein Krieg ausbricht. Zudem kann einem ein Wettrüsten aufgezwungen werden, wenn ein Mitspieler keine Friedensverhandlungen mehr eingehen möchte. Diese Aspekte bringen Unbestimmtheit komplexer Systeme mit. Auch hier gilt, dass diese Unbestimmtheit im Rahmen der Spielregeln, also innerhalb eines klar definierten Raums, existiert. Die Möglichkeiten, die ein Mitspieler hat, sind durch das Spiel vorgegeben. Diese Möglichkeiten sind jedoch so vielfältig, dass ein Mensch alle nicht immer bewusst benennen kann. Hier kommt die Fähigkeit der Modellbildung zu tragen, da sich dadurch die große Zahl der Elemente und Beziehungen abbilden lässt. Allein die Darstellung der Eigenschaften aller Einheiten oder Gebäude bedarf eines mehrseitigen Dokumentes. Allerdings unterstützt hier das Spiel durch die eingebaute Hilfsfunktion, Zivilopädie genannt, so dass der Spieler immer wieder die notwendigen Informationen abrufen kann.

Ein weiteres Kriterium komplexer Systeme ist die Intransparenz. Betrachten wir nun weitere Elemente: Den Spielplan. Zu Beginn eines neuen Spiels sieht der Spieler nur einen kleinen Kartenausschnitt rund um seine erste Einheit. Der Rest der Karte ist im sogenannten fog of war verhüllt und muss nach und nach erkundet werden. Dieses Erkunden kann, je nach Größe der Karte, sehr viele Runden benötigen. Es besteht keinerlei Kenntnis darüber, wo sich die anderen Zivilisationen aufhalten (die Ausnahme bilden hier Szenarien, da in diesen die Startpositionen bekannt sein können) oder wo die günstigste Position zur Gründung von Städten ist. Dieser Zustand wird sich anfangs auch nicht vollständig  ändern, da erst mit der entsprechenden Technologie die gesamte Karte und alle auf ihr sich befindlichen Elemente sichtbar werden. Bis dahin kann zwar die Landfläche erkundet werden, jedoch wird der aktuelle Status eines Gebietes nur gezeigt, wenn sich eine eigene Einheit im Sichtradius befindet. Der Spieler muss Entscheidungen, wo Städte gegründet werden, wo sich Mitspieler befinden könnten und wie diese aufgestellt sind, in Unkenntnis aller notwendigen Informationen fällen. Zudem kann im Laufe des Spiels die Anzahl der zu beachtenden Elemente stark zunehmen, so dass eine neue Form von Intransparenz entsteht. Die Intransparenz ist verknüpft mit den individuellen Fähigkeiten des Spielers, da sich zwar die Anzahl der Elemente erhöht, diese aber sichtbar bleiben.

Die Dynamik in Civ IV wird durch das System des Spiels abgeschwächt: Neben den für  einen Bau oder eine neue Technologie notwendigen Produktions-/Forschungspunkten wird auch die dafür notwendige Zeit (Anzahl Runden) angegeben. An der vereinfachten Abbildung von Forschung wird dies besonders deutlich: „Produziere 50 Glühlampen und du erhältst eine neue Technologie“. Hierdurch wird die sonst durch Dynamik entstehende Ungewissheit fast gänzlich vermieden. Der Spieler kann stets sagen, wie lange ein Vorhaben dauert und was dafür benötigt wird. Außerdem bietet das Grundprinzip des Spiels selbst eine entscheidende Einschränkung: Der rundenbasierte Ablauf sorgt dafür, dass ein Spieler, sofern kein Runden-Timer eingesetzt wird, genug Zeit hat, über seine Aktionen nachzudenken. Er muss also nicht innerhalb von kurzer Zeit Entscheidungen treffen. Lediglich die durch einen längeren Spielverlauf wachsende Anzahl von (Bau-)Vorhaben kann die Übersicht erschweren, wodurch eine gewisse Dynamik entstehen kann. Hinzu kommen die nicht kontrollierbaren Mitspieler, deren Vorhaben in zeitlicher Sicht daher nicht oder nur unzureichend beurteilt werden können. Zu erwähnen ist allerdings, dass das Spiel eher schwache Rückkoppelungen besitzt, wodurch ebenfalls die Dynamik beschränkt wird.

Wir können feststellen, dass Civ IV durchaus Elemente eines komplexen Systems besitzt. Es gibt eine große Anzahl verschiedener Elemente, die miteinander, teilweise auch mehrfach, in Beziehung stehen. Diese Beziehungen sind unterschiedlich gestaltet, durch das Spiel jedoch fest vorgegeben, so dass der Spieler die Art der Beziehung zumindest theoretisch nachlesen kann. Allerdings stellt ihn hier die große Anzahl vor eine Herausforderung, da er mit dem Verlauf eines Spiels immer mehr Beziehungen beachten muss. Hier kann er den Überblick verlieren. Die Dynamik des Spiels ist, mit Ausnahme bestimmter Modi, eher beschränkt, da der Faktor Zeit eine eher untergeordnete Rolle spielt, so dass Handlungen und deren Ergebnisse wohl überlegt werden können.


[1] vgl. theoretischen Hintergrund
[2] http://www.civfanatics.com/civ4/info/civilizations
[3] http://www.civfanatics.com/civ4/civilopedia
[4] http://www.civfanatics.com/civ4/info/improvements; http://www.civfanatics.com/civ4/info/wonders
[5] vgl. Handbuch zu Civilization IV, S. 74 und S. 174-176; vgl. http://www.civfanatics.com/civ4/info/civics
[6] vgl. Runkel, Wolfram „Das Schachduell“, in: Die Zeit vom 16.05.1997

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