Vorstellung der qualitativen Daten

Die befragten Spieler haben im Fragebogen die Möglichkeit eine Beurteilung des Spiels als komplexes System selbst abzugeben (Frage 20) und auch weiterführend ihre Ansichten zu komplexen Systemen mitzuteilen (Frage 21). Im letzten Teil des Fragebogens können die Spieler Transfers beschreiben. Die quantitative Auswertung hierzu fand bereits im vorherigen Abschnitt statt, hier sollen die einzelnen Aussagen analysiert und vorgestellt werden. Die abschließende Frage 45 bietet dem Befragten Gelegenheit, seine Antwort bzgl. der Frage, ob das Spiel Interessen geweckt habe oder nicht, zu erläutern. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf den Ausführungen der Spieler zu komplexen Systemen. Vorab werden die Kennzeichen der Kategorien definiert, d.h. die Kriterien, anhand derer die Daten der jeweiligen Kategorie zugeteilt werden.

Die erste Kategorie sind „Merkmale komplexer Systeme“. Diese Kategorie beinhaltet vier Unterkategorien, angelehnt an den im theoretischen Teil vorgestellten Merkmalen. Für die jeweilige Unterkategorie werden die Daten bei der ersten Durchsicht auf Schlüsselwörter hin untersucht. Hierfür wird die Wortzählfunktion unter MAXQDA genutzt, um Auffälligkeiten feststellen zu können. Diese Form soll der quantitativen Auswertung der qualitativen Daten dienen und bereits eine erste Filterung für die weitere Analyse ergeben. In der folgenden Übersicht werden Schlüsselwörter für eine Unterkategorie vorgestellt (bei den Wörtern wird jeweils Singular und Plural beachtet). Neben den Schlüsselworten wird ebenfalls eine Analyse der Texte durchgeführt, um Beschreibungen, die keines der Schlüsselwörter beinhalten, ebenfalls berücksichtigen zu können. Grundsätzlich kann bei diesem Vorgehen eine Trefferquote von 100 % nicht gewährleistet werden, da manche Aussagen zu ungenau sind und daher nicht eindeutig zugeordnet werden können.

    Merkmale komplexer Systeme
  • Anzahl der Elemente
    Schlüsselwörter: viele, mehr, einige, Elemente, Vielzahl, verschiedene, Parameter, different, multiple, many, more, a lot, various, varieties
  • Dynamik
    Schlüsselwörter: unberechenbar, unvorhersehbar, unerwartet, Dynamik, linear, Rückkoppelung, Auswirkungen, dynamic, unexpected, unpredictable, feedback
  • Planung
    Schlüsselwörter: Entscheidungen, Planung, Lösung, Strategie, solution, decision, strategy, planning
  • Beziehungsgeflecht
    Schlüsselwörter: verbunden, vernetzt, Netzwerk, Abhängigkeit, Einfluss, Verknüpfung, Verbindung, Zusammenhang, Rückkoppelung, dependency, interaction, affect, impact, feedback
    Unter diese Kategorie fallen auch Merkmale Dörners Modells, die jedoch nicht alle explizit aufgeführt werden.
    Transfermodell
    Für das Transfermodell werden keine Schlüsselwörter definiert, da dies nur eine unvollständige Analyse darstellen würde. Hier werden die Aussagen der Spieler, in denen sie sich auf Situationen außerhalb des Spiels beziehen, sie aber mit dem Spiel in Verbindung bringen, analysiert.
    Häufig genannte Begriffe
    Erläuterungen: Die Kategorie „Häufig genannte Begriffe“ wird festgelegt, da bestimmte Begriffe mehrmals bei der Beschreibung komplexer Systeme (spielbezogen und allgemein) oder in anderen Zusammenhängen erwähnt werden. Gleiches gilt für die Kategorie „Geschichte“: Geschichte kann als ein komplexes System angesehen werden, so dass die häufige Erwähnung von Geschichte bei den Antworten Berücksichtigung finden soll. Die bloße Nennung des Begriffes „Geschichte“ o.Ä. wird nicht als Nennung eines Kriteriums eines komplexen Systems gewertet.

Elemente komplexer Systeme

222 von n = 248 (89,5 %) der Befragten gibt an, Civilization IV für ein komplexes Spiel zu halten. Bei der an diese Frage anschließenden Bitte um Erläuterung können 78,8 % der Spieler (n=222) Elemente komplexer Systeme benennen. Auf die Frage, was allgemein komplexe Systeme ausmacht (nicht bezogen auf das Spiel), können 82,8 % der Befragten  (n=203) Kriterien benennen. Dabei sind allerdings nicht alle Kriterien berücksichtigt. Insgesamt gibt es lediglich elf Befragte, die sämtliche Kriterien benennen. Wird die Unterkategorie „Planung“ als von Dörner definiertes Handlungsfeld und daher kein Kriterium im beschreibenden Sinne herausgenommen sind es 23 vollständige Benennungen[1].

Ein Beispiel einer vollständigen Beschreibung:

„entscheidungen [sic] die man früh im spiel trifft, können sich (gute wie schlechte) extrem auf das spiel im späteren verlauf auswirken. Extreme vielfalt an möglichkeiten zu spielen und zu gewinnen. (versch. siegesbedingungen, wirtschaftsformen)“; „Mathematisch nicht fassbar. Extrem viele einflüsse etc“ (ID 53)


Abbildung 1: Nennungen Elemente komplexer Systeme (allgemein: n=203; im Spiel: n=222); Quelle: eigene Darstellung

Die meisten Antworten bei der Beschreibung des Spiels (Frage 19) fallen in die Unterkategorie „Viele Elemente“ (64,4 %; n=222). Hier finden sich Aussagen, dass es „[v]ielfältige Möglichkeiten“ (ID 63) gibt und, dass viele verschiedene Elemente gleichzeitig behandelt werden müssen[2]. Ähnlich verhält es sich bei der allgemeinen Beschreibung mit 62,1 % (n=203). Dort finden sich vergleichbare Antworten, die die „Quantität der zu überblickenden Menge“ (ID 45) oder „many small elements working to provide an appearance of a unified system.“ (ID 335) beinhalten.

Die Unterkategorie „Planung“ ist mit 19,4 % bzw. 19,7 % bei beiden Beschreibungen fast gleich oft vertreten. In diesem Zusammenhang können, spielbezogen, Antworten gefunden werden, in denen Spieler erkennen, dass „[i]mmer ein Plan B erforderlich [ist]“ und „Spiele […] gutes Zusammenspiel zwischen kurz- und langfristiger Planung mit konstantem Blick auf beides [erfordern]“ (ID 226) und es keine Musterlösungen gibt, sondern das Verhalten an diverse Rahmenbedingungen (Aufbau der Karte, Verhalten der Gegner, etc.) angepasst werden muss[3]. Bei der allgemeinen Beschreibung wird von „Vorrausplanung, schnelle Reaktion/Urteile fällen, viele[n] Möglichkeiten, […]“ (ID 92) oder der Tatsache gesprochen, dass es keine vorgefertigten Lösungen gibt und daher vorhandene Pläne immer wieder angepasst werden müssen[4].

Der markanteste Unterschied kann bei der Unterkategorie „Beziehungsgeflecht“ ausgemacht werden: 36,0 % (n=203) der Aussagen der allgemeinen Beschreibung können dieser Kategorie zugeordnet werden; bei der Spielbeschreibung sind es 20,3 % (n=222). Häufiger wird die Vernetzung der Spielelemente erwähnt: „interaction of many smaller systems […]“ (ID 103), „Many interlinked game elements […]“ (ID 154) oder „diverse Wechselwirkungen […]“ (ID 198) werden beschrieben. Allgemein stellen die Spieler fest, dass „verknüpfungen, zusammenhänge, weitreichende auswirkungen von entscheidungen [sic]“ (ID 39) Merkmale sind und, dass ein komplexes System „[…] ein System mit mehreren Variablen, die sich gegenseitig beeinflussen […]“ (ID 75), ist.

Ein kleinerer Unterschied ist bei der „Dynamik“ festzustellen: Hier fallen 21,2 % (43) der Aussagen bei der allgemeinen und 14,0 % (31) bei der Spielbeschreibung unter diese Kategorie. Die Spieler beschreiben Dynamik im Spiel mit „[…] teilweise unvorhersehbare[n] Entwicklungen“ (ID 37) oder „It’s hard to predict the game more than a turn in advance […]“ (ID 280). Bei der allgemeinen Beschreibung urteilen die Befragten über Dynamik: „Die Vorhersagbarkeit ist gering, die Folgen des eigenen Handelns nicht mehr exakt vorauszusehen, […]“ (ID 110) und erkennen „[u]npredictability“ (ID 184). Eine Antwort soll hier als Beispiel für die Antworten stehen, die mehrere Elemente beinhalten:

„viele gekoppelte Parameter kleine Änderungen der Parameter können große Auswirkungen haben trotzdem nicht chaotisch in dem Sinn dass man nichts über die wahrscheinliche Entwicklung sagen kann -> Strukturbildung aber nur begrenzt vorhersagbar“ (ID 195).

Transfermodell

Neben den in der quantitativen Auswertung vorgestellten Einschätzungen[5] werden hier die im Einzelfall getätigten Aussagen präsentiert, d.h. sie werden in die Kategorie „Transfermodell“ einsortiert und im anschließenden Kapitel anhand des Transfermodells beurteilt (z.B. Einteilung in die Transferebenen oder -formen bzw. in die Lebenswelten).

Auffällig ist, dass einige Befragte angeben, durch das Spiel etwas über Geschichte gelernt zu haben. 51 Tn. (n=155) schreiben bei den Kommentaren zu Frage 39 (Beispiele für mögliche oder tatsächliche Lernfelder), dass sie etwas z.B. für den Schulunterricht gelernt haben. So merkt ID 168 an: „since i started playing civ my histroy [sic] grade has gotten a lot better“. Manch ein Spieler geht sogar soweit, dass ihn Civ IV in der mündlichen Abiturprüfung geholfen habe[6]. ID 108 erkennt eher den alltäglichen Nutzen bei „Pub quizzes!“. Gerade das Fachgebiet Geschichte wird hier besonders hervorgehoben.

Am zweithäufigsten wird das Gelernte auf andere Spiele angewandt. Hier geben die Befragten an, ein „generelles Vorgehen in Rundenstrategie“ (ID 202) entwickelt zu haben oder bei „Galactic Civs II, Age of Empires, etc“ (ID 328; Genrenachbarn von Civ IV) Vorteile durch das Spielen von Civ IV zu haben. Drei Bereiche sind ähnlich oft genannt worden: „Planen/Organisieren“, „Verständnis für komplexe Systeme“ und „Erfassen von Zusammenhängen“. Die Aussagen hier beschreiben eher allgemeine Bereiche der Planung und Organisation („In life“, ID 135 oder „Projekt Planung“, ID 40). Die Kommentare zu komplexen Systemen beinhalten Aussagen zum Beziehungsgeflecht komplexer System. So erkennt ein Spieler, „[h]ow small choices effect [sic] the whole“ (ID 293) und ein weiterer „[t]he relationship one decision has upon another“ (ID 285). Vergleichbar ist dies mit Aussagen zu Zusammenhängen. Aussagen wie „increased awareness of layered situations“ (ID 103) oder „[y]ou see the whole thing instead of just small parts.“ (ID 163) lassen erkennen, dass Spieler die verschiedenen Grade der Modellauflösung deuten.

Bei Handlungsmustern (Frage 40; n =188) geben 49 Spieler an, diese vom Spiel auch auf andere Bereiche übertragen zu haben. Der Großteil gibt bei der Einteilung dieser Muster an, dass, vergleichbar mit den Antworten auf Frage 39, diese vor allem bei anderen Spielen zum Einsatz kommen. Dabei finden sich allgemeine Aussagen wie „You learn how games work.“ (ID 163) aber auch konkrete Beschreibungen, die den Ratschlag geben: „angreifen, wenn die Armee groß genug ist und die Wirtschaft nicht zusammenbrechen würde“ (ID 85). Bei der Planung und Organisation geben noch 22 Spieler an, Handlungsmuster übernommen zu haben. Eine „klare Reihenfolge beim Vorbeireten [sic] von Vorträgen“ (ID 190) wird nun eingehalten. Bei Arbeitsabläufen werden ähnliche Aussagen getroffen. Die Quintessenz ist, dass Spieler angeben, durch das Spiel planvoller und strukturierter vorgehen zu können.

Neben den Handlungsmustern und Lernfeldern sind auch ganz allgemein Bereiche gefragt, mit denen sich ein Spieler außerhalb des Spiels über das Spiel befasst. Die meisten Stimmen erhält hier das taktische bzw. strategische Vorgehen. „Ist es besser, ein Gebiet zu erobern oder eigene Städte auszubauen?“ (ID 195) wird gefragt und ein weiterer Spieler wägt zwischen Angriffen, Kriegserklärungen und Friedensverträgen ab[7]. Zu erkennen ist, dass das Thema Krieg häufig benannt wird. Bezogen auf den bisherigen Verlauf eines Spiels geben die meisten Spieler an, über das Verhalten, auch bei Fehlern, im Spiel nachzudenken. Beispiele hierfür sind ID 331, der „vor allem bei Fehlern“ über das Spiel nachdenkt, oder ID 266, der sich fragt: „Was hätte man anders machen können? – Was war gut?“. Die Gedanken über den Gegner beinhalten wieder kriegerische Aspekte: „Always thinking about their moves during war“ (ID 86), „Who to attack next“ (ID 273) oder „wer könnte das nächste Opfer sein, oder wer will mich demnächst killen“ (ID 355). Auch in den weiteren Bereichen wird häufig über das Thema Krieg gesprochen. Über die Karte des Spiels wird „[b]esonders bei Krieg im MP“ (ID 219) nachgedacht oder es wird nach „[b]est way to eliminate an enemy“ (ID 83) gesucht, allerdings wird hier auch über mögliche Standorte von neuen Städten nachgedacht. Krieg spielt also in vielen der Antworten auf die Frage, worüber nachgedacht wird, eine Rolle. Bei möglichen Lernfeldern oder Handlungsmustern wird dieses Thema jedoch kaum noch direkt angesprochen.

Beim Kommentar zu den Situationen, in denen sich mit dem Spiel außerhalb des Spiels befasst wird, werden ruhige Situationen sehr oft erwähnt und bilden die mit Abstand am häufigsten benannten Momente. Hier wird die Situation vor oder beim Schlaf hervorgehoben[8]. Ein Spieler merkt an: „schon mal civ ‚geträumt’…ich schon!“ (ID 77).

Häufig genannte Begriffe

In dieser Kategorie werden die Begriffe einsortiert, die häufig im Zusammenhang mit komplexen Systemen erwähnt werden, jedoch noch nicht in einer anderen Kategorie erfasst worden sind (siehe vorherige Stichwörterübersicht). Der meistgenannte Begriff in diesem Zusammenhang ist Möglichkeiten mit 61 Erwähnungen. Strategie ist der zweit- und System und Micromanagement sind die dritthäufigsten genannten Begriffe (siehe Abbildung 2). Die Begriffe Geschichte und Micromanagement werden im folgenden explizit beschrieben. Geschichte wird in der Abbildung nicht aufgeführt, da dieser nicht im Zusammenhang mit der Beschreibung komplexer Systeme fällt, aber insgesamt bei der Beschreibung von weiteren Bereichen des Spiels immer wieder auftaucht.


Abbildung 2: Häufig genannte Begriffe im Zusammenhang mit komplexen Systemen (n=248); Quelle: eigene Darstellung

Geschichte

Viele der Kommentare zu der Frage, ob Civilization IV das Interesse für andere Themen geweckt habe, beinhalten das Interesse für Geschichte. In 67 Fällen (73,0 % derer, die mit Ja geantwortet haben; n=93) wird Geschichte genannt. Damit ist dieses Fachgebiet das mit Abstand am häufigsten erwähnte Interessensgebiet (Politik erhält in diesem Rahmen z.B. 18 Nennungen). Teilweise werden, neben allgemeinem Interesse („World history in general.“, ID 126), auch konkrete Epochen benannt: Die „Entwicklungsgeschichte des Menschen, besonders [der] alte Orient und [die] europäische Antike“ (ID 244) oder „[…], insbesondere: [b]yzantinische Geschichte [und] [m]ittelalterliche Geschichte“ (ID 202) werden hier beispielhaft erwähnt.

Micromanagement

Ein Begriff, der auffällt, ist das Micromanagement. Dieser Begriff wird 38 Mal erwähnt (17,1 %, n=222) und ist im Zusammenhang mit Computerspielen gerade bei Strategiespielen wie Civ IV von Relevanz. Er stammt aus der Computerspielerszene und beschreibt das Handeln auf kleinster Ebene, d.h. die Steuerung von einzelnen Einheiten. Eine Möglichkeit, diese Fähigkeit zu bewerten, ist die Anzahl an Befehlen in einer festen Zeit (meist APM: Aktionen pro Minute).


[1] vgl. Theoretischer Hintergrund
[2] vgl. ID 180 auf Frage 20
[3] vgl. ID 229 auf Frage 20
[4] vgl. ID 297 auf Frage 20
[5] vgl. Mögliche Transfers
[6] vgl. ID 269 auf Frage 39
[7] vgl. ID 103 auf Frage 43
[8] vgl. ID 253 oder ID 349 auf Frage 44


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