Dörners Modell

Die vorher bewerteten Aussagen befassten sich, mit Ausnahme des Planungsbereiches, mit den Kriterien komplexer Systeme. Nun sollen die Antworten unter Berücksichtigung der Handlungsbereiche Dörners näher betrachtet werden. Dörner hat zwar auch Kennzeichen komplexer Systeme definiert, jedoch wurden diese Aspekte bereits in den vorangegangen Kapiteln ausführlicher angesprochen, so dass sich hier nur auf die erarbeiteten Handlungsbereiche bezogen wird.

Zielvorgaben

Wie in der Spielanalyse bereits angedeutet, wird hier ein geringeres Potenzial des Spiels bzgl. der Lernmöglichkeiten gesehen, da die Spielziele bereits von Anfang an vorgegeben sind. Interessant ist das Spielerverhalten: Die in 6.3.3 vorgestellten Zahlen zeigen, dass knapp 20 % (49; n=248) der Spieler bereits früh wissen, was sie erreichen möchten, wohingegen eine fast genauso große Anzahl Spieler angibt, sich nicht für ein Ziel zu entscheiden und abzuwarten, wie sich das Spiel entwickelt. Ebenso groß ist die Gruppe, die erst später ein Ziel festlegt. Die Gruppe, die bereits früh ein Ziel verfolgt, lässt bei den gewählten Zielen nur wenig Unterschiede im Vergleich zu den sich später Entscheidenden feststellen. Allerdings können Tendenzen erkannt werden: Es wird bei den Siegvarianten eher zwischen „Immer“ und „Nie“ entschieden und der Herrschafts- bzw. Eroberungssieg wird von dieser Gruppe eher bevorzugt. Dies kann zur Aussage führen, dass Spieler, die schon früh ein Ziel verfolgen auch konkretere Vorstellungen von diesen Zielen haben. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gruppe der Frühentschlossenen auch eher im Verlaufe des Spiels bei ihrem auferlegten Ziel bleibt (48 % geben an, selten oder nie die gewählte Strategie zu verändern) während die anderen Spieler ihre Ziele eher ändern (72,9 % geben hier an, dass sie „Hin und wieder“ oder sogar regelmäßig ihr Ziel ändern). Diese Tatsache bietet eine gute Überleitung zum nächsten Handlungsbereich: Der Planung.

Planung

Wie vorher aufgezeigt, tendieren Spieler, die sich bereits früh für ein Ziel entscheiden eher dazu, dieses Ziel weiter zu verfolgen. Hier kann ein Methodismus unterstellt werden, der von Dörner bei vielen Experten festgestellt worden ist. Gegen diese Hypothese spricht allerdings, dass diese Spieler nicht häufiger angeben, feste Handlungsmuster im Spiel entwickelt zu haben, als der Rest der Befragten. Während aber 9,3 % der Gesamtheit der Befragten angibt, auf dem Level „Unsterblicher“ zu spielen und sich zudem zu 22,2 % als Profi einschätzt, liegt der Anteil in dieser Gruppe bei 20,4 % bzw. 38,8 %. Dies unterstützt die Beobachtung Dörners.

Ein weiteres Kriterium für gute Planung ist die Informationsbeschaffung. Hier wird erkannt, dass die Spieler im Allgemeinen gut über den Zustand der eigenen Städte und Einheiten Bescheid wissen. Der Status der anderen Völker oder die zu erreichenden Siegbedingungen werden allerdings anfangs weniger beachtet. Ein Unterschied ist hier bei den 55 Spielern zu beobachten, die sich als Profi einschätzen (22,2 %; n=248): Sie kontrollieren tendenziell öfter die verschiedenen Elemente. Allerdings ist dies nur in einzelnen Bereichen recht deutlich (insbesondere „Status der anderen Völker“), so dass noch keine allgemeine Aussage darüber gemacht werden kann, dass erfahrene bzw. erfolgreiche Spieler sich auch öfter informieren. Dies würde eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen Dörners bedeuten, dass erfahrene TN sich öfter informieren. Bei der Veränderung des Informationsverhaltens im Laufe des Spiels wird von den Befragten aus der Gruppe der Profis ebenfalls nur beim Punkt „Status der anderen Völker“ eine deutlichere Verhaltensänderung angegeben als bei dem Rest der Befragten. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass alle Spieler ihr Informationsverhalten durchaus der Situation anpassen: Während bestimmte Bereiche (z.B. Gründungsorte für Städte) zu Spielbeginn noch relevant sind, werden andere Bereiche erst später interessant (z.B. Siegbedingungen) und umgekehrt. Hier kann erkannt werden, dass Spieler die Relevanz von Informationen im Spiel abschätzen können.

Wird die Selbsteinschätzung „Profi“ hier als Kriterium für einen erfolgreichen Spieler genommen, so kann zumindest beim Informationsverhalten kein signifikanter Unterschied erkannt werden. Bei einer Filterung nach Spielnutzung (täglich, mehrmals die Woche, etc.), bereits vorheriger Spielerfahrung oder Alter kann ebenfalls kein gravierender Unterschied festgestellt werden. Es kann also davon ausgegangen werden, dass zumindest die hier befragten Spieler ein vergleichbares Verhalten zeigen.

Wird noch einmal der zu Anfang angesprochene Methodismus betrachtet, so fällt auf, dass die befragten Spieler feste Strategien oder Muster als ungeeignet für den Umgang mit komplexen Systemen halten. „[E]s gibt keine ‚perfekte Lösung’ für ein/e Problem/Frage, […]“ (ID 266), „[k]eine alles dominierende Strategie“ (ID 34) oder „[e]s darf nicht möglich sein eine Komplettlösung zu verfassen, die immer funktioniert […]“ (ID 19); diese Aussagen beschreiben, dass Methodismus von den Befragten als keine gute Lösung für das Handeln bzw. Planen angesehen wird. Ein Spieler umschreibt die Schwierigkeiten bei der Planung ein wenig anders: „If someone asks ‚what’s the best way to do X’ and you get 10 intelligent people saying 10 different things then it is probably a complex subject.“ (ID 169). Auffällig ist hierbei, dass diese Spieler nicht zur Gruppe, die zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt worden ist, gehören. Sie stufen ihr Verhalten als veränderbar ein. Dörner hat in seinen Experimenten ebenfalls festgestellt, dass Personen, die generalisierende Aussagen treffen eher schlechter bei den Planspielen abgeschnitten haben als Personen, die abwägen und eine Allgemeingültigkeit ihres Handelns nicht annehmen[1]. Dies kann auch an Erfahrungen im Umgang mit komplexeren Problemstellungen liegen, in denen Pläne aufgrund nicht abzusehender Abläufe verändert werden mussten. Im nächsten Abschnitt wird auf diese Abläufe, die durch Dynamik gekennzeichnet sind, eingegangen.

Zeitabläufe

Die Beurteilung der Möglichkeiten von Civilization IV, Dynamik näher zu bringen, wurde als gering eingestuft. Dennoch erkennen immer noch 14 % der Befragten diese Dynamik im Spiel und 21,2 % definieren Dynamik allgemein als Kennzeichen. Doch was beinhalten die Aussagen der Spieler über Dynamik?

„Frühe Entscheidungen haben später weitreichende und nicht unbedingt vorhersehbare Folgen.“ (ID 75) beschreibt ein Spieler die Dynamik im Spiel. Diese Aussage deckt sich mit weiteren Aussagen, die sich auch darauf beziehen, dass getroffene Entscheidungen weitreichende Auswirkungen haben können. So erkennt ein anderer Spieler „[t]he game is a series of decisions with short and long term implications […]“ (ID 204) und ein Dritter definiert die „[s]chwierige Abschätzbarkeit der Folgen von Entscheidungen“ (ID 33) als ein Merkmal. Die Spieler erkennen also, dass Dynamik etwas mit zeitlichen Abläufen zu tun hat und, dass Entscheidungen zwar Einfluss haben und auch notwendig sind, diese Einflüsse bzw. das Resultat jedoch nicht immer vorhergesehen oder erst spät erkannt werden kann („Man weiß mitunter erst 100 Runden später, dass man Mist gebaut hat…“, ID 44). Dies deckt sich ebenfalls mit den Erkenntnissen Dörners, dass gerade bei längeren zeitlichen Abläufen Menschen die Folgen nicht abschätzen können. Bei der Beschreibung des Spiels werden konkrete Spielelemente, die diese Dynamik verursachen könnten, weitestgehend nicht benannt.

Bei der allgemeinen Beschreibung komplexer Systeme werden ähnliche Aussagen gefunden:

„The final and complete results of an action are difficult to predict, even if you have you have [sic] sufficient information and understanding to accurately predict the immediate results of an action.“ (ID 99)

Dieser Befragte liefert eine recht genaue Erklärung von Dynamik, indem er die Resultate des Handelns selbst bei gutem Systemverständnis und augenscheinlich ausreichender Informationsbeschaffung für nicht vorhersehbar erklärt. Kürzer beschreibt ein anderer Spieler Dynamik: „Difficult to predict output based on inputs“ (ID 176).

Es wird hier geschlossen, dass Spieler tendenziell Dynamik nicht im Spiel, sondern in komplexen Systemen allgemein erkennen. Dennoch beschreibt nur jeder Fünfte Dynamik als ein Kennzeichen komplexer Systeme. Um Dynamik und deren Auswirkungen absehbarer machen zu können, ist ein gutes Modell des zu betrachtenden Systems notwendig. Als nächstes wird daher auf die Aussagen zur Modellbildung geachtet.

Modellbildung

Aspekte der Modellbildung (Erkennen von Zusammenhängen bei einer hohen Anzahl von Elementen) wurden bereits in 7.2 beschrieben, daher sollen hier besondere Antworten hervorgehoben werden. Dörner hat in seinen Experimenten bei erfolgreichen Probanden festgestellt, dass diese Analogien bilden, um bei Systemen, die sie nicht kennen, Gemeinsamkeiten beim Vergleich mit bereits bekannten Systemen zu finden[2]. Dies dient nicht nur der Vereinfachung, sondern auch der Beseitigung von Ungewissheit beim Umgang mit komplexen Systemen. Zudem können Abläufe und Elemente oft schneller erkannt und beurteilt werden. Dörner erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Klassifizierung, d.h. das Erkennen und Einteilen eines unbekannten Systems in bereits bekannte Klassifizierungen.

Dieses Vorgehen kann auch bei den Antworten in dieser Untersuchung festgestellt werden. So antwortet ein Spieler Folgendes auf die Frage nach Merkmalen komplexer Systeme:

„Die einzelnen eher unwichtigen Untergebiete dieser Systeme kann man weglassen und das System funktioniert trotzdem noch, wenn auch natürlich eingeschränkt. Trotzdem trägt so ein weniger wichtiges Gebiet zum funktionieren des Systemes bei – es ist zwar nicht mehr perfekt Beispiel Auto: Fehlt ein Rad ist es in begrenztem Maße noch brauchbar. Andererseits, nimmt man den Motor raus…naja, dann ist es immernoch als Unterschlupf zu gebrauchen, erfüllt aber nicht mehr den eigentlichen Zweck. Allgemein kann man Einzelteile eines komplexen Systems austauschen oder erweitern um es so insgesamt effektiver zu machen, zum Beispiel: Auto -> Holzrad, schlecht, ersetzt mit Gummi: besser. Hinzufügen von Schneeketten in bestimmten Situationen: Nützlich. Schneeketten als Teil eines komplexen Systems (Also das, wofür die Schneeketten bestehen.) sind sozusagen optional. Oder auch der Mensch.“ (ID 104)

Dieser Spieler bringt ein Beispiel für ein in seinen Augen komplexes System und unterteilt dieses von ihm vorgeschlagene System in seine Einzelteile und bewertet diese. Er bildet ein Modell und erkennt auch, dass der Grad der Auflösung bei der Modellbildung eine Rolle spielt. Inwiefern diese Analogie für das Verständnis eines komplexen Systems eins zu eins anwendbar ist, soll dabei nicht bewertet werden. Ein weiterer Spieler bildet passend zur vorherigen Antwort diese Analogie:

„Ein System würde ich dann als komplex bezeichnen, wenn seine Elemente wiederum in kleinere Systeme unterteilt ist, er viele Elemente hat und die Elemente untereinander häufig miteinander Wechselbeziehungen haben. Z.B könnte der Mensch als ein System betrachtet werden. Seine Elemente könnten seine Organe sein. Diese wiederum korrespondieren miteinander und sind ihrerseits ein System bestehend beispielsweise aus Zellen, Flüssigkeiten…“ (ID 254)

Hier kann auch der unterschiedliche Grad der Auflösung erkannt werden und die zueinander in Beziehung stehenden Elemente: die Organe des Körpers. Diese Analogien können natürlich nicht immer unverändert übertragen werden, aber sie zeigen, dass ein Grundverständnis von einem (komplexen) System besteht und es steht fest, dass das Bilden von Analogien gerade im Umgang mit unbekannten Systemen einen positiven Effekt auf das eigene Handeln hat. Dennoch kann zusammenfassend gesagt werden, dass Analogien bei den Antworten eher selten gefunden werden. Vereinzelt werden Vergleiche zu wirtschaftlichen oder politischen Systemen gezogen. Überraschenderweise taucht jedoch ein Vergleich zu historischen Ereignissen sehr selten auf. Dafür findet sich Dörners als Analogie verwandtes Schachspiel wieder: „Seems like quite a chess match to me.“ (ID 23).

Die Gruppe

Das letzte Handlungsfeld Dörners beschäftigt sich mit dem Handeln in einer Gruppe. Dieser Aspekt wird von den befragten Spielern lediglich angedeutet. Dies kann teilweise darin begründet liegen, dass lediglich 29 % (n=248) der Spieler angeben, eher im MP oder SP/MP zu gleichen Teilen zu spielen. Eine Analyse der sogenannten Demokratiespiele (DemocracyGames[3]) könnte hier Aussagen der Spieler zum Handlungsbereich der Gruppe liefern. Allerdings wäre dies nicht mehr ein spezielles Merkmal des Spiels Civ IV, denn ein Demokratiespiel kann auch mit anderen Spielen durchgeführt werden. Dieser Aspekt wurde allerdings nicht im Fragebogen berücksichtigt. Bei weiteren Antworten der Umfrage wird auf diesen Aspekt auch nicht eingegangen, so dass dieses Handlungsfeld zumindest nicht anhand der Definition Dörners betrachtet werden kann.


[1] vgl. Dörner 2009, S. 263f
[2] vgl. Dörner 2009, S. 114f
[3] http://civforum.de/showthread.php?t=61293


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