Beurteilung komplexer Systeme

Wie bereits bei der Auswertung der Daten vorgestellt worden ist, erkennen viele der Befragten zumindest ein Merkmal komplexer Systeme im Spiel. Zudem beinhalten bei der allgemeinen Frage nach Merkmalen komplexer Systeme noch mehr Antworten Kriterien. Zuerst sollen die Aussagen zum Spiel analysiert werden.

Aussagen zum Spiel

Das meistgenannte Merkmal ist die hohe Anzahl an Elementen (64,4 %). Die Aussagen der Spieler beinhalten dabei die in der Spielanalyse bereits vorgestellten Kriterien. So beschreibt ein Spieler die Kriterien „- viele Siegvarianten – Militär aufstellen, verwalten und Schlachten führen – Wissenschaft regeln – Städte managen – Religionen“ (ID 22) oder ein anderer benennt die „Anzahl der Elemente, hierdurch quasi endlose Konbinationsmöglichkeiten [sic]“ (ID 117) als Grund für die Komplexität. Auffällig ist, dass „viele Möglichkeiten“ von einigen Spielern als ein Merkmal komplexer Systeme im Spiel benannt wird[1]. Dabei ist die hohe Anzahl der Elemente auch das offensichtlichste Merkmal im Spiel, da diese stets visuell dargestellt und somit sichtbar erfasst werden können. Es finden sich dennoch eher wenige reine Aufzählungen der Elemente unter den Antworten und in wenigen Fällen wird sich nur auf einen Bereich bezogen (wie z.B. bei ID 286: „variety of civs“ oder bei ID 49: „- Tech Tree – Einheiten“). Dafür bleiben andere Aussagen eher allgemein und Spieler geben lediglich „Lots of options.“ (ID 116) an, so dass über die Qualität dieser Aussagen Unklarheit herrscht.

Die weiteren Kriterien sind hingegen weniger oft benannt: Das Beziehungsgeflecht wird lediglich im Auslandsberater oder im Technologiebaum angedeutet bzw. grafisch abgebildet. Das Handbuch oder die Zivilopädie bieten zwar ebenfalls eine Möglichkeit, die Beziehungen zu erkennen, jedoch ist hierfür immer noch eine Form der Modellbildung durch den Spieler gefordert. Der Spieler muss also die Beziehungen selbstständig erkennen können und sich ein Modell bilden, damit das Gefleht deutlich wird. 20,3 % der Befragten erkennen diese Beziehungen im Spiel und bilden zumindest ein einfaches Modell. Diese Spieler erwähnen dabei häufig die sich gegenseitig beeinflussenden Elemente: „Viele verknüpfte Spielelemente, […]“ (ID 56), „How all the different options effect [sic] each other.“ (ID 83) oder „diverse Wechselwirkungen, […]“ (ID 198) sind einige Beispiele, wie Spieler das Beziehungsgeflecht beschreiben. Andere beschreiben konkret das Modell im Spiel:

„Die Spielmechanik ist extrem komplex. Kommerz / Gold / Forschung / Produktion in Verbindung mit den belegten Stadtfeldern, dazu Spezialisten und dann die ganzen Gebäude die irgendwas davon bonifizieren wie z.B. Uni, Märkte etc. Die Eigenschaften von Einheiten im Kampf und die taktischen Möglichkeiten beim Kämpfen Diplomatie und deren Möglichkeiten plus Spionage Es gibt also verschiedene Ebenen die man erstmal verstehen muss und die das gesamte Spiel ergeben –> Komplexität“ (ID 239)

Dabei geben allerdings hier nur wenige Aussagen Auskunft über die Qualität der Beziehungen, so dass nicht beurteilt werden kann, was für ein Modell die Spieler bilden.

Ähnlich verhält es sich bei der von Dörner geforderten Planung: Hier erwähnen 19,4 % die Notwendigkeit für ein planerisches Vorgehen. Gleichzeitig geben 53,3 % an, dass sie durch das Spiel im Bereich des Planens und Organisierens etwas gelernt haben, was vermuten lässt, dass die Spieler sehr wohl ein planerisches Vorgehen für sinnvoll halten, aber dies nicht speziell auf komplexe Systeme (im Spiel) beziehen. Hier soll auch wieder der Hinweis gegeben werden, dass „Planung“ ein Handlungsbereich und kein Kriterium im eigentlichen Sinne ist. Spieler beschreiben dabei die Planung mit „- relativ viel strategie und längerfristige planung notwendig – viele schritte müssen auf einander abgestimmt werden um optimal zu spielen [sic]“ (ID 249) oder „Many interlinked game elements that require a lot of planning, decision making and a great deal of concentration“ (ID 154).

Ein weiteres Merkmal komplexer Systeme ist die Dynamik: Diese wird von 14 % der Befragten benannt. Dies deckt sich mit dem von Dörner als besonders schwierig herausgearbeiteten Handlungsbereich der zeitlichen Abläufe, kann aber auch ein Indiz dafür sein, dass Spieler Dynamik als Element im Spiel aus den bereits in Kapitel 4 genannten Gründen nicht erkennen oder ausschließen. Spieler sehen die Dynamik im Spiel z.B. durch die „Schwierige Abschätzbarkeit der Folgen von Entscheidungen“ (ID 33) oder „Many choices leading to unpredictable resultz [sic]“ (ID 184). Andere weisen hingegen darauf hin, dass „[v]iele Mechaniken, deren Zusammenspiel man erst erkennen muss, die aber trotzdem transparent sind […]“ (ID 57), existieren, so dass Dynamik eher auf Unkenntnis des Systems zurückzuführen ist und weniger auf unvorhersehbare Verläufe.

Es kann also festgestellt werden, dass die Befragten im Spiel zwar das offensichtlichste Kriterium, die hohe Anzahl an Elementen, erkennen, allerdings nicht die beiden weiteren Kriterien, das Beziehungsgeflecht und die Dynamik. Das Handlungsfeld der Planung wird nicht unbedingt den komplexen Systemen zugeordnet, aber trotzdem als ein Lernfeld des Spiels angesehen. Die Frage ist nun, ob die Spieler in Bezug auf allgemeine Kriterien komplexer Systeme ähnlich oder anders antworten.

Generelle Aussagen zu komplexen Systemen

Wie schon beim Spiel wird auch hier das Vorhandensein vieler Elemente als das entscheidende Kriterium komplexer Systeme benannt. ID 183 beschreibt dieses Kriterium dabei sehr treffend: „A complex system is one where there are [sic] a great number of variables which are inter-related.“. Während bei beiden Beschreibungen die Anzahl der Elemente fast gleich oft erwähnt worden ist, wird das Beziehungsgeflecht hier öfter genannt (20,3 % zu 36 %[2]). Würden die Aussagen der Spieler abgezogen, die Civ IV erst gar nicht als komplexes System beurteilen, wäre der Unterschied mit 20,3 % zu 33,5 % zwar kleiner, aber noch immer deutlich erkennbar. Warum dieser Unterschied existiert, kann aus den gegebenen Antworten nicht hergeleitet werden. Ein Spieler, der Civ IV nicht als ein komplexes Spiel ansieht, erklärt dabei recht deutlich mit Bezug auf das Spiel seine Ansichten eines komplexen Systems:

„Ich würde civ als komplexes System empfinden, wenn die Spielmechanismen mehr miteinander verwoben wären und nicht nur für sich stehen würden. Wenn Gesundheit mehr wäre als ‚die Stadt hat 1 Nahrung weniger’, Happyness mehr als ‚soviele Menschen kannst du beschäftigen’ wäre. Wenn es richtige Umweltverschmutzung gäbe, wenn Diplomatie mehr als das ansammeln von + und – punkten wäre.“ (ID 158)

Hier kann Dörners Aussage, dass Komplexität nicht eindeutig messbar ist und daher unterschiedlich bewertet wird[3], wiedererkannt werden. Weiterhin erwähnt dieser Spieler, dass die Komplexität des Spiels aufgrund einer vereinfachten Darstellung nicht tief genug geht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Spieler das Beziehungsgeflecht im Spiel nicht erkennen. Dies lässt sich aber nicht durch weitere Aussagen belegen. Ansonsten finden sich bei der allgemeinen Beschreibung typische Aussagen wie „[…] gegenseitige Beeinflussung verschiedener Aspekte“ (ID 64) oder „dependencies and options“ (ID 119), die auf ein Beziehungsgeflecht hinweisen.

Die Notwendigkeit zur Planung erkennen auch hier ähnlich viele Befragte und beschreiben diese vergleichbar mit der Spielbeurteilung: „Wärend [sic] des Spieles werden Berechnungen gemacht.“ (ID 94) oder „Systems that require a high degree of thought and pondering about key decisions […]“ (ID 291). Auf diesen Aspekt wird in später weiter eingegangen.

Dynamik wird ebenfalls eher weniger im Spiel als bei der allgemeinen Merkmalzuschreibung komplexer Systeme genannt. Allerdings verhält es sich hier nicht so deutlich wie beim Merkmal des Beziehungsgeflechts (Verhältnis dort: 1:1,8; hier: 1:1,5; nur bei Berücksichtigung derer, die sowohl das Spiel als auch allgemein komplexe Systeme beschrieben haben: 1:1,7 und 1:1,3). Die Dynamik wird dabei von den Spielern häufig als ein nicht vorhersagbares Element beschrieben: „relativ unvorhersehbar aber trodtzdem [sic] logisch“ (ID 72) oder „[…] often result in an unpredictable system“ (ID 109) sind zwei Beispiele hierfür. Die Dynamik wird in der allgemeinen Beschreibung zwar öfter erwähnt, allerdings ebenfalls nur von einem Fünftel der Befragten als ein markantes Merkmal komplexer Systeme herausgestellt. Hier kann, wie schon bei der Spielbeschreibung und in Dörners Ausarbeitungen, festgestellt werden, dass dieses Merkmal häufig nicht erkannt wird.

Interessante Anmerkungen

Neben der reinen Analyse der Aussagen mit dem Fokus auf Kriterien komplexer Systeme sollen auch weitere interessante Anmerkungen der Befragten kurz bewertet werden.

„It takes understanding for how many small things contribute to something larger, how to plan things over a long period of time. This promotes understanding for how Civilizations have risen and fallen and how science and religion have developed etc. Also some war mechanics and how weapon technologies have been a counter/respond phenomenon until modern times. Civ IV is the entire world and its history, only compressed and made into a game!“ (ID 107)

Dieser Spieler beschreibt das Spiel, indem er den planerischen und dynamischen Aspekt und die große Anzahl an Elementen erwähnt. Dabei sieht er das Spiel als ein Nachspielen der Weltgeschichte an. Ein weiterer Spieler sieht, neben der Beschreibung der dynamischen Aspekte und der Vielzahl der Einflussfaktoren im Spiel im rundenbasierten System einen Vorteil für ein planerisches Vorgehen:

„• Turn-based = More thinking and decision making involved • Many factors make large differences in gameplay • Takes management skills • Dynamic; it’s not just a simple strategy to go by, but rather the game changes and is different each time, something the player must take into account“ (ID 121)

Als letztes Beispiel der Spielanalyse soll hier die Aussage von ID 40 dienen:

„detailiertes [sic] Management aller Staedte, minimum Tiefgang auf weiteren Ebenen wie z.B. Diplomatie und Staatsfuehrung, verschiedene Pfade um zu gewinnen sowie deutlich weniger ausgearbeitete Balance (vgl. mit Blizzard Titeln)“ (ID 40)

Dieser TN spricht von einer „Balance“ im Spiel, die allerdings nicht so stark ausgeprägt sein soll, wie in Spielen anderer Hersteller. Dass Balance im Handeln ein Kennzeichen komplexer Systeme im Spiel sei, wird auch in neun weiteren Aussagen erwähnt[4]. Meist ist hiermit die Beachtung verschiedener Faktoren beim Handeln und das Erreichen eines ausgeglichenen Spiel gemeint (z.B. Kompromisse zwischen den verschiedenen Spielelementen Forschung/Bau/Wirtschaft/Diplomatie/Expansion etc.).


[1] vgl. Häufig genannte Begriffe
[2] vgl. Elemente komplexer Systeme
[3] vgl. Dörners Modell (theoretischer Hintergrund)
[4] vgl. ID 46, ID 76, ID 141 oder ID 281 auf Frage 20


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