Dörner hat in den Bereichen Zielsetzung, Modellbildung, Zeitabläufe (Dynamik), Planen und Gruppe Probleme im Umgang mit komplexen Situationen feststellen können. Im ersten Bereich, der Zielsetzung, bietet das Spiel klare Vorgaben. Hier muss der Spieler sich keine Gedanken darüber machen, wie sein Ziel nun aussehen soll. Durch unterschiedliche Kriterien (z.B. bestimmte Bevölkerungszahl oder Größe des eigenen Staatsgebietes) sind die erreichbaren Ziele messbar und während des Spiels kann immer wieder überprüft werden, was zum Erreichen des einen oder anderen Ziels notwendig ist. Die interessantere Frage ist in diesem Zusammenhang, ob ein Spieler sich dieser Ziele wirklich während des Spielens bewusst ist bzw. diese auch tatsächlich aktiv verfolgt oder per Zufall am Spielende ein Ziel erreicht. Hier verlassen wir jedoch den eigentlichen Bereich der Zielsetzung und berühren den Bereich des Planens.
Civ IV könnte das planerische Denken fördern: Der Spieler verfolgt eines der Spielziele und muss dabei die Handlungen auf das Ziel hin ausrichten. Er muss sich überlegen, welche Gebäude einen Nutzen haben, wann welche Technologie erforscht werden sollte und welche Einheiten zur Erreichung seines Ziels hilfreich sein könnten. Abhängig vom Ziel kann es sinnvoll sein möglichst rasch Technologien zu erforschen, die den Bau militärisch wirkungsvoller Einheiten ermöglichen. Sollte hingegen das Weltraumrennen gewonnen werden, wären andere Technologien hilfreich. Gleiches gilt für den Bau: Der militärische Sieg macht eine stärkere Aufrüstung notwendig, wohingegen ein kultureller oder religiöser Sieg besondere Gebäude und Spezialisten erfordert. Bei seinen Überlegungen muss der Spieler immer berücksichtigen, dass er nicht weiß, was die Mitspieler planen. Selbst bei einer friedlichen Strategie könnte es sein, dass ein Mitspieler den Krieg erklärt, für den ein Spieler dann gewappnet sein muss. Die planerischen Fähigkeiten des Spielers sind bei Civ IV also gefordert. Dabei ist zu berücksichtigen, inwiefern der Spieler bewusst plant oder ob er einfach ein bestimmtes Muster entwickelt hat (evtl. sogar Methodismus), das er unreflektiert anwendet.
Dieses planerische Denken setzt den Fokus auf einen weiteren Problembereich in Dörners Modell: Zeitabläufe. Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, wird hier wenig Möglichkeit geboten, das Beurteilen von Zeitabläufen zu verbessern. Das Spiel ist rundenbasiert und eine Dynamik entsteht allenfalls durch die Mitspieler, die unvorhergesehene Aktionen durchführen. Dabei beschränkt sich diese Dynamik aber auf einen erkennbaren Bereich, da sich der Spieler in seiner Runde Zeit lassen kann, um eine Situation zu analysieren. Zudem informiert ihn das Spiel darüber, wie lange ein Prozess dauert. Dies ist bei komplexen Systemen in der realen Welt selten möglich. Lediglich bei der Interpretation von durch das Spiel erstellten Graphen (Zeitfigur wird zur Raumfigur[1]) wird eine gewisse Dynamik bildlich dargestellt. Hier ist jedoch fraglich, inwiefern sich Spieler mit solchen Interpretationen beschäftigen, da sie für den Spielverlauf nur bedingt relevant sind. Allerdings könnte bei einem Rückblick auf den bisherigen Spielverlauf die Auswirkung einer bestimmten Aktion vor vielen Runden entscheidend für die gegenwärtige Situation sein. Hier könnte beim Spieler das Bewusstsein geschärft werden, dass lang zurückliegende Entscheidungen Auswirkungen auf aktuelle Situationen haben können.
Die Gruppe stellt in diesem Zusammenhang auch einen Bereich dar, dem ein geringes Lernpotenzial unterstellt wird. Civ IV bietet zwar einen Mehrspielermodus, es ist jedoch fraglich, ob Spieler tatsächlich häufiger im Mehrspielermodus als im Einzelspielermodus spielen. Hinzu kommt, dass eher gegeneinander als miteinander gespielt wird (abgesehen von verschiedenen Teamspielvarianten in diversen Fan-Foren wie civfanatics.com oder civforum.de). Natürlich könnte eine Untersuchung dieser Teamspielvarianten ähnliche Ergebnisse liefern wie die Experimente Dörners. Allerdings darf angezweifelt werden, dass die Kompetenz, in einer Gruppe arbeiten zu können, speziell durch Civ IV besonders gut gefördert werden kann. Hier wären andere Genres bzw. Spiele besser geeignet[2].
Ein Bereich, der als mögliche Stärke des Spiels angesehen wird, ist der Bereich der Modellbildung. Civ IV stellt, wenn auch nicht in allen Kriterien gleich stark ausgeprägt, ein komplexes System dar. Es gibt viele Elemente und Beziehungen zwischen diesen Elementen. Der Spieler muss diese Beziehungen bei seinem Handeln beachten. Entscheidungen müssen mit Blick auf deren Auswirkungen auf das System getroffen werden. Dabei kann eine Entscheidung sich nicht nur auf ein, sondern gleich auf mehrere Elemente auswirken. Dabei muss der Spieler auch Entscheidungen treffen, bei denen er nicht genau absehen kann, ob sie nun richtig für den weiteren Spielverlauf sind. Je besser er in diesem Moment das Modell kennt, desto eher kann er die Wechselwirkungen beurteilen und auch seine Planungen dementsprechend ausrichten. Er wird zudem nicht nur linear planen, da er weiß, dass verschiedene Szenarien möglich sind. Durch Civ IV könnte dem Spieler die Notwendigkeit zur Modellbildung oder zumindest zur Beachtung der unterschiedlichen Beziehungen und Elemente bewusst gemacht werden.
Die entscheidende Frage ist also, ob und was der Spieler aus dem Spiel mitnimmt bzw. mitzunehmen glaubt.
[1] vgl. theoretischen Hintergrund
[2] vgl. Gee 2007, S. 218; vgl. Geisler 2009, S. 250f; vgl. Wimmer/Quandt/Vogel 2009, S. 150f